Wenn Jesus Gott wäre, hätte er allwissend sein müssen – er wusste aber nicht den Zeitpunkt des Endes (Mk 13,32)

„Wenn Jesus Gott ist, müsste er allwissend sein. Doch in Mk 13,32 sagt er: Von jenem Tag und jener Stunde weiß niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. Das beweist, dass Jesus nicht Gott ist.“

Die Stelle Mk 13,32 ist kein Gegenbeweis gegen die Gottheit Christi, sondern ein Schlüssel zum Geheimnis der Inkarnation. Jesus ist nicht „ein Gott neben Gott“, sondern Gott selbst, das ewige Wort, das Fleisch angenommen hat (Joh 1,14). Als Gott ist er allwissend (Joh 16,30; Joh 21,17), als wahrer Mensch hat er wirklich die Begrenzungen unserer Natur angenommen (Phil 2,7).

Das „Nichtwissen“ in Mk 13,32 ist daher im Kontext der Selbsterniedrigung zu verstehen. Augustinus erklärt: „Als Gott wusste der Sohn den Tag, als Mensch wusste er ihn nicht, weil es ihm nicht zukam, ihn den Jüngern mitzuteilen“ (De Trinitate I,12). Athanasius präzisiert: „Das Nichtwissen ist nicht Unwissenheit, sondern Zurückhaltung der Offenbarung“ (Contra Arianos III,42). Jesus spricht also als Lehrer, der die Jünger zur Wachsamkeit erziehen will, nicht als einer, dem göttliches Wissen fehlt.

Dazu kommt: An anderen Stellen zeigt er klar übernatürliche Kenntnis. Er durchschaut die Herzen (Joh 2,25), kündigt seine Passion dreimal im Detail an (Mk 8,31; 9,31; 10,33–34), sagt Petrus’ dreifache Verleugnung voraus (Lk 22,34) und weiß, wer ihn verraten wird (Joh 13,11). Das alles bezeugt Allwissenheit, die nur Gott eigen ist.

Die Kirche bekennt deshalb seit dem Konzil von Chalkedon (451): Jesus Christus ist eine göttliche Person in zwei Naturen, unvermischt und ungetrennt. Sein Wissen ist wirklich göttlich – und er nimmt zugleich ein menschliches Wissen an, das in seiner Rolle als Lehrer begrenzt erscheint. Mk 13,32 offenbart also nicht Schwäche, sondern die Größe seines Heilsplans: Gott verbirgt, was er weiß, um uns zu bereiten.

Gegenargument der Gegenseite

„Doch der Text sagt klar: nicht einmal der Sohn weiß es.

Kurze Widerlegung:

Das Evangelium spricht hier in der Sprache der Inkarnation: der Sohn in seiner menschlichen Selbsterniedrigung. Wer den Vers isoliert liest, verkennt den Gesamtbefund, dass Jesus göttliches Wissen offenbart. Das „Nichtwissen“ bedeutet nicht wirkliche Unkenntnis, sondern dass er den Zeitpunkt nicht zur Offenbarung freigibt.

Entscheidend ist der Kontext: Unmittelbar danach sagt Jesus zu den Jüngern: „Ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist“ (Mk 13,33). Die Unwissenheit betrifft also ausdrücklich die Menschen, nicht Gott. Mit dem Ausdruck „nicht einmal der Sohn“ schärft er nur ein, dass selbst die Inkarnation keine Berechtigung gibt, nach dieser Stunde zu forschen. Der Sinn ist erzieherisch: Wacht, statt spekulativ zu rechnen.