Dieses Argument übersieht die zentrale Wahrheit der Menschwerdung. Jesus Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch (Joh 1,14; Konzil von Chalcedon, 451). In seiner göttlichen Natur braucht er kein Gebet, denn als Sohn ist er eins mit dem Vater (Joh 10,30). Aber in seiner menschlichen Natur lebt er vollkommen als der neue Adam, der für uns betet, uns das Beten lehrt und den vollkommenen Gehorsam gegenüber dem Vater vollzieht.
Das Gebet Jesu ist kein Beweis gegen seine Gottheit, sondern gerade ein Zeugnis für die Realität seiner Menschwerdung: „Er erniedrigte sich und wurde gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8). Als wahrer Mensch richtet er sich betend an den Vater; als wahrer Gott ist er zugleich derjenige, zu dem die Jünger beten dürfen.
Zudem offenbaren die Gebete Jesu die innige Beziehung zwischen Vater und Sohn: „Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich wusste, dass du mich immer erhörst“ (Joh 11,41–42). Kein Prophet konnte je so beten – mit der Gewissheit, dass jedes Wort erhört wird. Das ist Zeichen göttlicher Autorität, nicht Schwäche.
Die Kirchenväter verstanden das klar: Augustinus erklärt in De Trinitate (Buch 1, Kap. 11), dass Christus „betet als Mensch, erhört wird als Gott“. Athanasius schreibt in Orationes contra Arianos (um 360): „Wenn er betet, so betet er für uns, als Mensch; wenn er erhört, so erhört er als Gott.“
Gegenargument der Gegenseite
„Jesus betete, weil er wie ein Prophet vollkommen von Gott abhängig war.“
Kurze Widerlegung:
Ja, er betete als wahrer Mensch – aber kein Prophet hat je gesagt: „Alles, worum ihr in meinem Namen bittet, werde ich tun“ (Joh 14,13). Das Gebet Jesu ist nicht Ausdruck bloßer Abhängigkeit, sondern Offenbarung seiner einzigartigen Sohnschaft und göttlichen Macht.